Latenzzeit – Brachzeit

VDM Esther Gisler Fischer

Im Entwicklungszyklus eines Schmetterlings gibt es verschiedene Lebensphasen: Zuerst ist da einmal ein Ei, aus dem sich dann die Raupe entwickelt, welche sich gefrässig über Allerlei hermacht, um sich dann satt und zufrieden zu verpuppen.

Während zwei bis vier Wochen, bei manchen Arten den ganzen Winter über, harrt sie nun in einem engen, dunklen Kokon aus; fest zusammengeklebt und unbeweglich. Alles, was sie jetzt noch tun kann ist, sich diesem unglaublichen Schöpfungsprogramm zu ergeben: Warten, nichts tun – einfach geschehen lassen: LATENZZEIT.

Zeit still zu halten

Erinnern Sie sich an eine solche in ihrem Leben? Es gibt sie immer wieder und sie zwingen uns, meistens ungefragt, stillzuhalten: Krankheit, Trauerzeit, eine Phase der Orientierungslosigkeit, in der wir trotz und gegen unseren Aktivismus abwarten müssen. Vielleicht müssten oder müssen wir uns hin und wieder auch miteinander, zum Beispiel als Kirchgemeinde verpuppen und verpuppen lassen! Und uns fragen: Was ist unsere Aufgabe, was können und wollen wir sein, anstatt ziellos blind und hektisch zu agieren, zu managen, zu optimieren. Weiss die Raupe, was ihr am Ende ihres Stillhaltens blüht? Wissen wir als Einzelne und als Glaubensgemeinschaft immer, wohin die Reise geht? Aus China stammt folgender Ausspruch: «Was eine Raupe das Lebensende nennt, nennen Weise einen Schmetterling.» Wie ich, wie wir, eine verpuppte Zeit erleben, aushalten, gestalten, entscheidet sich danach an unserer Weisheit: Sehen wir die Krankheit, die Krise, die Verwirrung als das Ende oder als notwendigen Durchgang zu etwas Neuem, Lebendigerem? Zu den Angehörigen des vermeintlich toten Mädchens hat Jesus gesagt: «Das Kind ist nicht gestorben, es schläft.» Wie unsere Puppe.

Der Winter ist immer auch die Zeit, wo die Natur ruht: BRACHZEIT. Auch wir sind eingeladen, von diesem Zustand zu lernen:

Vom Winter lernen
der Stille zu vertrauen,
der Sprengkraft
des Unsichtbaren
und dem Sammeln
in den Kammern
während der Brachzeit.

Vom Winter
wieder lernen;
sich überschneien
lassen
ohne Furcht.

(Eveline Hasler)

«Jesus spricht: „Talita kum!“ Das heisst: „Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher.»
Mk 5, 41