OSTERN – die bittere Süsse der Schokoladenhasen

Wieder steht Ostern vor der Tür und in den Läden und Supermärkten füllen Schoggieier und Schoggihasen in den verschiedensten Formen die Gestelle. Für mich persönlich werden diese süssen Verlockungen viel zu früh angeboten. Sie passen noch nicht in meinen Speiseplan, da ich während der Fastenzeit bewusst auf den Konsum von Süssigkeiten verzichte. Und seit ich in einer Fernsehsendung gesehen habe, dass es teilweise Kindersklaven sind, welche die Kakaobohnen als Rohprodukt für die Schokolade ernten, ist mir der «Gluscht» fast endgültig vergangen. In der Elfenbeinküste und in Ghana, aus denen rund 60 Prozent der weltweiten Kakaoerträge herkommen, kann sich kein Kind ein Stück Schokolade leisten. Ganz im Gegenteil: Laut einer Studie müssen sich in Westafrika über 250 000 Kinder auf Kakaoplantagen abrackern. Kakaobohnen gedeihen in Schoten, die ungefähr so gross sind wie Papayafrüchte. Die Kinder schlagen die Schoten mit Macheten vom Kakaobaum herunter, schneiden sie auf, schöpfen die Bohnen aus, streuen diese in Körbe oder auf Matten und decken sie zu, damit der Kakao fermentiert. Später werden die Bohnen wieder aufgedeckt und in die Sonne zum Trocknen gelegt, damit sie nachher in grosse Säcke verpackt und auf Lastwagen verladen werden können. Der Arbeitstag der Kinder beginnt bei Sonnenaufgang, gegen sechs Uhr morgens, und endet bei Sonnenuntergang, um halb sieben Uhr abends. Wer Glück hat, schläft nachts auf weichen Maiskolben und bekommt zu den gebratenen Bananen auch etwas gesalzenen Yams zum Abendessen. Wer Pech hat, wird geschlagen und gedemütigt, um den eigenen Willen zu brechen. Lange Arbeitstage, die über zwölf Stunden dauern, damit die Ernte der Kakaobohnen eingebracht werden kann, haben die Kinder aber alle. Ein zwölfjähriger Junge erzählt in einem Interview mit dem Journalisten, dass er die Nacht  in einem kleinen Raum auf Holzbrettern verbringt zusammen mit 18 anderen Knaben. Das einzige Fenster besteht aus einem Loch von der Grösse eines Tennisballs, damit etwas frische Luft hereinströmen kann. Sind sie erst einmal in der Hütte, darf diese niemand mehr verlassen. Für die Notdurft stehen Blechkanister neben den Holzbrettern bereit.

Die bitteren Früchte des Welthandels

40 Jahre sind es schon, dass sich die beiden Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle in der Passionszeit mit ihrer ökumenischen Kampagne einsetzen für mehr Gerechtigkeit zwischen dem Weltsüden und Weltnorden. Dieses Jahr lautet das Motto: «Recht auf Nahrung: Stoppt den unfairen Handel.» Das Augenmerk ist gerichtet auf die unfairen Handelsbeziehungen weltweit. Es sind komplexe Verhältnisse, welche da von den Experten analysiert werden. Begriffe wie «WTO», «GATT» und «G8» und ihre Bedeutung für den Welthandel werden erklärt. Ich lerne, dass die Globalisierung auch ihre Schattenseiten hat: Bei den herrschenden Wirtschaftsbeziehungen und Handelsstrukturen profitieren zuerst die Unternehmen und die Shareholders. Für die Produzenten der Agrarprodukte bleibt wenig übrig vom Kuchen. Aber auch wir Konsumentinnen und Konsumenten, die Kaffee, exotische Früchte oder Schokolade zu billigen Preisen kaufen können, profitieren davon. Alles Theorie auf dem Papier. Manchmal hilft es da, wenn man eine konkrete Person vor sich sieht. Darf ich Ihnen Clementina vorstellen? Sie ist eine junge Kleinbäuerin aus der Dominikanischen Republik. Zusammen mit ihrer Familie bewirtschaftet sie eine Plantage mit Fruchtbäumen, darunter auch Kakaobäume. Für die Vermarktung ihrer  Produkte hat sie sich vor einigen Jahren mit Kollegen aus der Nachbarschaft zu einer Genossenschaft zusammen geschlossen. Vorher musste sie wie ihre Nachbarn das wertvolle Naturprodukt zu einem Spottpreis an Zwischenhändler verkaufen. Nun kauft eine Fairtrade-Organisation die vor-fermentierten Bohnen zu einem vorher vereinbarten Preis. Clementina kann nun besser kalkulieren und weiss in etwa, mit wie viel Einkommen sie am Ende der Ernte rechnen kann. So kann sie ihre Kinder vor der harten Arbeit verschonen in der Plantage und sie in die Schule schicken.

Auferstehung zu einem süssen Leben für alle

Im christlichen Festkreis ist Ostern das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Jesus, der Mann aus Nazareth, geboren in einem einfachen Stall in Bethlehem, wurde zum Tod am Kreuz verurteilt. Er starb und auferstand am dritten Tag. Das ist, was die biblischen Texte erzählen. Ich stelle mir die Frage, wo heute die Menschen sind, die leiden, die sich nach Auferstehung sehnen, danach, menschenwürdig behandelt zu werden, danach, menschenwürdig leben zu können. Ostern muss für mich auch heute geschehen, waru sonst sollte ich mich an etwas erinnern, das über 2000 Jahre her ist?

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
mitten am Tage
mit unserem lebendigen Haar
mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.

schreibt die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz in einem ihrer Gedichte. Ostern als Fest der Auferstehung will ich dieses Jahr bewusst als etwas Diesseitiges feiern. Als Geschehen, dass andere Menschen teilhaben lässt am Ertrag ihrer Früchte. Ich werde einen Schoggihasen mit fair gehandeltem Kakao drin kaufen und mich freuen, dass Auferstehung zu einem besseren Leben für andere möglich wird durch eine kleine persönliche Tat. Und ich bin sicher: Die Schokolade wird mir süsser vorkommen als auch schon!

Esther Gisler Fischer, Theologin